»Nichts Neues. Vance hat weiter darauf beharrt, es sei Mord gewesen, hat jedoch keine weiteren Beweise geliefert. Der Beamte schreibt, Vance’ Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, und er sei kaum noch mobil gewesen.« Er reichte diese letzten Seiten Coldmoon. »Offenbar hat dieses letzte Gespräch den Versuch dargestellt, den Mann zum Schweigen zu bringen. Und das scheint funktioniert zu haben, denn es ist das neueste und letzte Dokument in der Akte.«
»Vor zwei Jahren«, wiederholte Coldmoon. »Und er hat
Pendergast nickte.
»Erhängt mit einem geknoteten Bettlaken. Kein Selbstmordschreiben. Der Ort passt. Der Zeitrahmen stimmt. Der Militärpolizei-Ehemann war sicher, dass seine Frau ermordet wurde. Wissen Sie, ich glaube, es kann durchaus sein, dass es sich bei ihr um Opfer zero handelt.«
»Darf ich darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um die erste Person handelt, der wir begegnet sind, die glaubte, dass ihr geliebter Mensch sich nicht das Leben genommen hat?«
»Sie sprechen von den Baxters. Und wir haben bewiesen, dass sie recht hatten.«
»Stimmt. Aber in diesem Fall – es sei denn, es entgeht mir da etwas – gibt es absolut keinen Röntgenbild-Beweis, dass die Frau mittels eines Druck-Würgegriffs ermordet wurde.«
Coldmoon blätterte in dem neuesten Gutachten. »Wenn eine gleichwertige Chance besteht, dass es sich bei ihr tatsächlich um Opfer zero handelt, sollten wir dieser Spur vielleicht nachgehen. Diesen Vance fragen, warum er immer noch so davon überzeugt ist, dass sie ermordet wurde.«
»Was wird er uns mitteilen, was er nicht schon der Polizei erzählt hat?«
»Sehen Sie sich einmal diese Vernehmung an«, sagte Coldmoon, hielt das Blatt hoch und warf es zurück in Richtung Pendergast. »Das ist alles pro forma. Die Cops haben bloß ein paar dumme Fragen gestellt. Ich finde, wir sollten losfahren und mit dem alten Kauz reden. Wir haben die Zeit. Grove wird uns erst am späten Nachmittag weitere Akten herüberbringen.«
Pendergast sah ihn an.
»Sind Sie anderer Meinung?«
»Überhaupt nicht. Ich habe wenig Interesse, herumzusitzen und auf die Nachrichten zu warten, dass Brokenhearts erneut gemordet hat. Ich stelle diese rhetorischen Fragen nur, weil Sie – da unser Freund Axel nicht zur Verfügung steht – fahren müssen.«
»Oh. Mist.« Das hatte Coldmoon ganz vergessen. »Wo wohnt der Mann noch mal gleich?«
»In einer Kleinstadt mit dem reizenden Namen Canepatch. Ungefähr hundert Kilometer westlich von hier.«
»Canepatch, Koksfelden. Logisch.« Coldmoon stand auf. »Wir können dorthin fahren und in drei Stunden, höchstens, wieder zurück sein. Hat doch keinen Sinn, herumzusitzen und zu warten. Es kann da auch nicht heißer sein als hier.«
»Das wird sich zeigen«, sagte Pendergast, der – nachdem er die einzelnen Seiten in die Aktenmappe zurückgelegt und diese an sich genommen hatte – vom Tisch aufstand und zur Tür ging.
39
In ihrem fensterlosen Büro neben dem Obduktionssaal öffnete Charlotte Fauchet abermals die Fächermappe mit der Aufschrift LAURIE WINTERS – nicht ohne schlechtes Gewissen. Sie hatte die Akte bereits gründlich durchgearbeitet, zusammen mit den Unterlagen zu Jasmine Oriol. Aber da hatte sie natürlich das Ganze aus dem Blickwinkel der Rechtsmedizinerin betrachtet. In der vorigen Nacht hatte sie zum zweiten Mal Mühe gehabt zu schlafen. Gewisse Dinge im nicht medizinischen Teil der Akten hatten ihr Kopfzerbrechen bereitet. Vielleicht lag das an ihrem Treffen mit Pendergast und Coldmoon im »Safe House«, die ihr Einblicke aus erster Hand in die investigativen Aspekte, wie man einen Mörder fasst, gewährt hatten. Möglicherweise hatte diese Detektivarbeit auf sie abgefärbt. Aber egal, jetzt, da sie in Urlaub war und keine nennenswerten Pläne hatte, hatte sie sich entschlossen, am Morgen im Büro vorbeizuschauen und die Akten gründlicher zu studieren.
Fauchet begann, Fotos der Obduktion auf ihrem Schreibtisch auszulegen. Als Winters aufgefunden wurde, hing sie an einer Stange in einem begehbaren Kleiderschrank in einem Motel außerhalb von Bethesda. Die Obduktion hatte der örtliche Coroner durchgeführt, bei dem es sich – zur Abwechslung mal – um einen erfahrenen forensischen Pathologen handelte. Und während sie sich die Fotos eines nach dem anderen ansah, war sie beeindruckt vom Grad des chirurgischen Könnens und der sauberen Arbeitsweise.