Sie drosselte die Geschwindigkeit. Das Haus, verblasster Anstrich mit weißen Verkleidungen, lag etwas zurückversetzt von der Straße und sah noch schäbiger aus als der Rest. Vor dem vorderen Panoramafenster stand eine halb abgestorbene Eiche, daneben ein verrosteter Rasenmäher, um den herum das Unkraut spross. Das Sankt-Augustin-Gras, das stellenweise im Vorgarten wuchs, war mindestens dreißig Zentimeter hoch, von den jüngsten Regenfällen plattgemacht. Die Auffahrt war voller Risse, eine alte Zeitung lag in der sengenden Hitze vor einer Garagentür mit abblätternder Beschichtung aus Holzimitat.
Sie fuhr so langsam an dem Haus vorbei, wie sie sich traute, dann weiter bis zum Ende des Häuserblocks, und bereitete sich darauf vor, zu wenden. Außerhalb des Blickfelds des Hauses fuhr sie kurz rechts ran und rief erneut Pendergast an. Nichts.
Sie fuhr weiter um den Häuserblock herum und begann, sich eine Geschichte auszudenken – für den Fall, dass ein neugieriger Nachbar sie anhielt.
Sie bog um die letzte Ecke und gelangte wieder auf den Tarpon Court. Was, wenn Brokenhearts nicht zu Hause war und einem weiteren Opfer nachstellte? Oder was, wenn er bereits geflüchtet war und ein Haus voller Beweismittel zurückgelassen hatte? Es stimmte schon, Brokenhearts machte nicht mehr von sich reden. Die warnenden Worte ihres Bruders kamen ihr in den Sinn:
Sie näherte sich dem Haus ein zweites Mal. Das war ihr letzter Versuch. Dreimal um den Block zu fahren, das kam nicht infrage, wenn sie also etwas finden wollte, dann musste das jetzt passieren.
Oder vielleicht … nur vielleicht … sollte sie doch anhalten und klingeln.
Unter welchem Vorwand? Ihr fiel etwas ein, und sie warf einen Blick auf den Rücksitz – und tatsächlich, da lagen wie ein Geschenk Gottes die Broschüren der Zeugen Jehovas, die ihr eine wohlmeinende Seele auf dem Parkplatz aufgedrängt hatte, als sie zwei Tage zuvor nach der Arbeit gerade nach Hause fahren wollte. Perfekt.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und dachte an Pendergasts Reaktion – und an Dr. Moberlys Kränkung –, wenn sie ihnen diesen unglaublichen Durchbruch wie auf dem Silbertablett servieren würde. Kühn fuhr sie auf die Garageneinfahrt des Hauses 203 Tarpon Court, schnappte sich die Broschüren, stieg aus, ehe sie es sich anders überlegen konnte, ging mit langen Schritten zur Tür und drückte die Klingel.
Kein Laut.
Die Tür sah genauso heruntergekommen aus wie das übrige Haus, die Außenleuchte hatte die Form einer Eule, die zwei kleinen Fenster am oberen Rand waren gesprungen. Fauchet legte das Ohr an die Tür, dann drückte sie die rostige Klingel noch einmal. Immer noch kein Ton – der Mechanismus musste kaputt sein.
Aus dem Haus drang keine Bewegung, kein Geräusch, nichts. Allem Anschein nach war es leer. Was jetzt? Die Vorhänge waren sorgfältig zugezogen, die Ränder hatten Schimmelflecken. Sie konnte nicht ins Haus schauen.
Andererseits würde der Mann es nicht wagen, ihr etwas anzutun – nicht in seinem Haus. Das war einfach nicht sein Modus Operandi. Wenn es sich denn tatsächlich um Brokenhearts handelte.
Er war Brokenhearts. Oder nicht?
Das gab den Ausschlag. Sie holte Luft, trat wieder einen Schritt vor, hob die Hand, hielt kurz inne und klopfte schließlich laut und vernehmlich an die Tür. Unter dem Druck ihrer Fingerknöchel ging die Tür – unverschlossen – einen Spaltbreit auf. Da konnte sie einfach nicht anders, sie beugte sich vor, spähte durch den Spalt. Und unmittelbar hinter der Tür, in der »Dreckschleuse«, sah sie an einem Kleiderhaken hängend eine alte Marlins-Baseballkappe.
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