Als hätte Pendergast seine Gedanken gelesen, drehte er sich zu ihm; sein Gesicht in der voluminösen Kapuze war dabei kaum zu erkennen. »Sie sind die Kälte gewohnt, nehme ich an?«
Coldmoon zuckte nur mit den Achseln.
»Sie sollten wirklich in eine von diesen investieren.« Pendergast tätschelte seine Reflektorweste. »Äußerst beliebt unter Südpol-Forschern. Selbst ich bin mit der Anzahl der Taschen sehr zufrieden.«
Pendergast trat einen Schritt vor und zog die Eingangstür auf. Von drinnen wehte ihnen ein warmer Luftzug entgegen. Sie betraten eine dunkle Eingangshalle, in der jedes Möbelstück – selbst der Empfangstresen – mit Tüchern bedeckt war. Es roch nach Sägemehl und Mottenkugeln. Der Eingangsbereich war groß, wie Coldmoon auffiel, aber die Lodge hatte – nach den bestoßenen Rahmen der Landschaftsbilder an den Wänden und dem etwas abgewetzten Teppichboden zu urteilen – schon bessere Zeiten gesehen. Aus einer offenen Tür hinter dem Empfangstresen drang ein leises Gespräch.
Als sie die Eingangstür hinter sich schlossen, verstummte die Unterhaltung abrupt. Kurz darauf traten drei Personen aus dem Hinterzimmer. Bei der ersten Person handelte es sich um einen übergewichtigen Endfünfziger, er trug eine rote Strickjacke und eine abgetragene Cordhose. Bei der zweiten um eine ungefähr gleichaltrige Frau, sie war so knochig wie der Mann dick und hatte drahtige Unterarme. Ihr Kleid war wie das eines Zimmermädchens geschnitten. Als Letzter erschien ein Polizist in Uniform, kahlköpfig und sehr klein, mit einem braunen Umschlag in einer Hand.
Der Mann und die Frau lächelten die Neuankömmlinge ein wenig unsicher an. Der Polizist nickte nur.
»Horace Young?«, sagte Pendergast, dessen Stimme aufgrund der voluminösen Parkakapuze ein wenig gedämpft klang. »Carol Young?« Er trat einen Schritt vor und zog sich einen der großen Fäustlinge von der Hand, die er ausstreckte. »Special Agent Pendergast, und das ist mein Partner, Special Agent Coldmoon.«
Sie schüttelten ihm die Hand. Dann zog Pendergast am Reißverschluss seiner Kapuze, schob sie nach hinten und wandte sich dem Polizisten zu. »Und Sie sind –?«
»Sergeant Waintree.« Der Cop warf einen Blick in Richtung Coldmoon. »Ich habe gestern Nachmittag mit Agent, ähm, Coldmoon telefoniert.«
»Vielen Dank an Sie alle, dass Sie sich so kurzfristig Zeit genommen haben.« Pendergast blickte sich in der Lobby um. »Wie ich sehe, erwarten Sie keine Gäste.«
»Wir nutzen den Winter, um die Lodge auf Vordermann zu bringen«, erklärte Horace.
Obwohl es in der Lobby sehr warm war, hatte Pendergast, wie Coldmoon bemerkte, den Reißverschluss seines Parkas nicht geöffnet.
»Nun, wir wollen Ihre Zeit nicht länger als nötig in Anspruch nehmen. Wenn Sie bitte die anderen holen – wir fangen sofort an.«
»Es gibt keine anderen«, erwiderte Horace.
Pendergast blickte in Richtung Coldmoon.
Sergeant Waintree beantwortete die unausgesprochene Frage. »Ihr Partner hier hat mich gebeten, alle zu versammeln, die in der Lodge gearbeitet haben, als Frau Baxter sich das Leben nahm.«
»Nur die Youngs?«, fragte Pendergast. »Und das Personal? Die Köche und Kellner?«
Die Frau antwortete. »Bolton – er war zu der Zeit unser Koch – hat vor Jahren eine neue Stelle in einem Ferienort in North Carolina angenommen. Donna und Mattie – soll heißen, die Kellnerinnen – sind beide in Rente. Sind irgendwohin zu ihren Kindern gezogen, soweit ich weiß.«
»Der Hausmeister?«
Mr Young verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Willy ist im vorletzten Jahr verstorben. Der Krebs hat ihn erwischt.«
»Zimmermädchen?«
»Ich war die Hausdame«, sagte die Frau. »Bevor ich Mr Young geheiratet habe.« Sie lächelte kokett.
Coldmoon blickte auf den sehnigen Hals der Frau. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund musste er an eine Möwe denken.
»Unser Hauptgeschäft haben wir im Sommer und Herbst«, sagte Young an Pendergast gewandt. »Wanderer, Vogelbeobachter, Naturliebhaber, Leute, die im Herbst die Laubfärbung fotografieren. Im Winter und Frühling haben wir geschlossen. Es ist schwierig, Fachpersonal für einen Teilzeitjob zu finden. Normalerweise kommen wir mit Studenten gut über die Runden. Sind gar nicht so schlecht, wenn man sie erst einmal angelernt hat. Manche bleiben nur einen Sommer, andere zwei, drei.«
»Das Geschäft ist auch ein bisschen zurückgegangen«, sagte die Frau. »Die Flüge nach Europa sind heutzutage ja so billig.«
Sollte Pendergast von der mageren Ausbeute enttäuscht sein, so war das nicht gleich zu erkennen. »Verstehe«, sagte er mit leisem Lächeln. »Also, wenn Sie nichts dagegen haben, könnten wir mit den Büchern anfangen?«
Die Youngs tauschten Blicke. »Gerne«, sagte Mr Young. »Leider sind die Reservierungsbücher vor einigen Jahren bei einem Feuer verloren gegangen. Außer alten Computerdateien ist nur sehr wenig übrig geblieben.« Er tippte auf einen Stapel mit Ausdrucken.
Pendergast hob die Brauen. »Was für ein Feuer denn?«