»Ein Fettbrand, der in der Küche begonnen hat. Wir haben ihn zwar schnell unter Kontrolle gebracht, aber die alten Akten lagerten im Schuppen neben der Küchenentlüftung und sind verbrannt.«
»Und Sie?« Pendergast drehte sich zu dem Polizisten um.
Der Polizist hielt ihm die Mappe hin. »Hier ist die Fallakte. Vernehmungen, Fotos und der Rest.«
In der folgenden halben Stunde sahen Pendergast und Coldmoon die Unterlagen des Hotels durch, so, wie sie waren, für den zweimonatigen Zeitraum um den Selbstmord von Elise Baxter herum. Pendergast dokumentierte jede Seite mit der Kamera seines Mobiltelefons. Die Youngs warteten in der Nähe und beantworteten, falls nötig, Fragen. Ihre Mienen spiegelten Neugier, gemischt mit einer Art peinlicher Verlegenheit. Sergeant Waintree schaute aus der Ferne zu, die Arme gefaltet, nichts beitragend. Coldmoon kam er vor wie ein typischer Mainer, vom Charakter her in sich zurückgezogen, unabhängig, schweigsam. Obendrein war er misstrauisch und ein wenig abwehrend – allerdings nicht ganz zu Unrecht, wenn man bedachte, wie dünn die Akte der Polizei war. Coldmoon wusste, dass Selbstmorde häufig kaum Beachtung fanden, aber selbst daran gemessen schien es, als hätte man in der kleinen, unterbesetzten Dienststelle hier nur das absolute Minimum getan.
Pendergast begann, Fragen an die Inhaber zu stellen. Beide erinnerten sich an die Nacht, in der Elise Baxter starb, wenn auch nur vage und nur, weil es sich um einen Selbstmord handelte. Die Immobilienmaklerinnen und Immobilienmakler von The Sun and Shore hatten sich am Ende der Saison im kleinen Speisesaal der Lodge zu einer Dinnerparty zusammengefunden. Soweit die Youngs wussten, hatten sich die Gäste gut amüsiert. Keiner der Eheleute erinnerte sich an etwas Außergewöhnliches – keine Streitereien, keine erhobenen Stimmen – außer wenn jemand lachte. Niemand schien betrunken gewesen zu sein. Keiner der beiden erinnerte sich, Elise Baxter gesehen zu haben, aber es gab ja auch keinen Grund, warum ihnen die Frau hätte auffallen sollen.
An den darauffolgenden Morgen dagegen konnte sich Carol Young noch sehr deutlich erinnern. Sie war das Zimmermädchen gewesen, das den Leichnam entdeckte, er hing von der Stange des Duschvorhangs im Bad. Die Frau war offenkundig tot, die Augen standen weit offen, die Zunge ragte aus dem Mund. Carol stieß einen spitzen Schrei aus, dann wurde sie ohnmächtig. Der Schrei alarmierte mehrere in der Nähe befindliche Gäste. Horace Young war so geistesgegenwärtig gewesen – nachdem er gesehen hatte, dass Elise Baxter tot war –, die Tür abzuschließen und nichts anzurühren, bis die Polizei eintraf.
An diesem Punkt des Gesprächs übernahm Sergeant Waintree. Als Erste seien ein Streifenpolizist – inzwischen im Ruhestand und wohnhaft in Arizona – sowie ein Krankenwagenfahrer, der erst einige Monate zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, in der Lodge angekommen. Als Nächstes sei ein kleines Team der Kriminaltechnik eingetroffen, das den Leichnam von der Stange abnahm, eine erste forensische Bewertung durchführte, Proben nahm, Fotos – jetzt in Coldmoons Besitz – machte und den Leichnam der Gerichtsmedizin übergab. Der Rechtsmediziner lebe noch in der Gegend, praktiziere nicht mehr, wohne aber weiter unten an der Küste in einer Stadt namens Balliol.
»Waren Sie schon damals bei der Polizei hier?«, fragte Coldmoon Waintree, während er den Ordner mit den Unterlagen aufklappte.
Der Polizist nickte. »Ja.«
»Waren Sie Mitglied des Ermittlungsteams?«
»Da war nicht viel zu ermitteln. Wir sind allerdings alle Details durchgegangen.«
»Zum Beispiel?«, fragte Pendergast und warf einen Blick in den Ordner, den Coldmoon gerade durchblätterte.
»Niemand hat irgendetwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört. Einige von den Gästen in den umgebenden Zimmern sowie das Personal, das an jenem Abend Dienst hatte, sind vernommen worden. Wie auch ein paar Kolleginnen der Verstorbenen.«
»Wo befinden sich die Abschriften der Vernehmungen jetzt?«, fragte Pendergast.
»Das waren nur inoffizielle Befragungen, es gab keinen Grund, irgendjemanden irgendeiner Sache zu verdächtigen. Dort drin befinden sich die Zusammenfassungen.«
Pendergast zog ein Blatt Papier, auf dem zwei Sätze standen, aus dem Ordner. »Solche wie diese?«
»Ja.«
Pendergast ließ das Blatt zurück in den Ordner fallen. »Gibt es irgendwelche Überwachungskameras oder Videoaufnahmen?«
»Wir sind hier in Maine, Agent Pendergast«, sagte Mr Young. Als würde das alles erklären.
»Gab es Berichte, wonach Fremde in der Stadt waren? Irgendetwas, das ungewöhnlich oder fehl am Platz wirkte?«
»Zu der Zeit des Jahres sind immer Fremde – Touristen – hier im Ort«, erwiderte Waintree. »Bis das letzte Blatt vom Baum gefallen ist. Es gab aber keine Klagen, Prügeleien oder Berichte über irgendwelche besonderen Vorfälle in der Woche, in der die Frau sich erhängte.«
»Was ist mit dem Zimmer, in dem sie Selbstmord begangen hat? Gab es Hinweise, dass dort irgendetwas Ungewöhnliches oder Verdächtiges geschehen ist?«