Geführt von der sanften Stimme aus dem Navi, ließ Coldmoon die verstopften Seitenstraßen von Little Havana hinter sich und bog auf die Hauptverkehrsader, auf der der Verkehr nach ein paar Kilometern glücklicherweise allmählich nachließ. Rückblickend war er zufrieden, dass er eingewilligt hatte, sich die Ermittlungsaufgaben am heutigen Abend mit Pendergast zu teilen. Pendergast war in seiner Suite im Fontainebleau geblieben, er wollte telefonisch alte Bekannte von Elise Baxter aufspüren. Coldmoon wusste, wie so etwas lief. Eine Bekanntschaft führte zur nächsten, dann noch einer. Pendergast würde den halben Abend herumtelefonieren, noch lange nachdem er selber sich schon schlafen gelegt hätte.
Von diesen Gedanken eingelullt, wurde Coldmoon erst bewusst, dass etwas nicht stimmte, als ihn das Navigationssystem zur Abfahrt in Richtung Westen und auf die Interstate 75 dirigierte. Die Fernstraße mit Mittelstreifen erstreckte sich endlos und führte in absolut monotone Dunkelheit, gelegentlich von einem Paar Scheinwerfer durchbrochen.
Rasch fuhr er auf den Standstreifen, konsultierte sein Handy und stieß anschließend mehrere besonders blumige Lakota-Flüche aus. Cape Coral befand sich gar nicht in der Nähe von Coral Gables, auch nicht von Coral Springs, mit dem er es verwechselt hatte – vielmehr lag der Ort ganz weit an der Westküste des Bundesstaates, am Ende einer pfeilgeraden Straße, die unter dem Namen Alligator Alley bekannt war.
Kurz überlegte er, ob er durch eine Lücke im Mittelstreifen des Highways wenden und zum Hotel zurückfahren sollte. Aber ihm war sofort klar, dass das nicht infrage kam. Die Befragung des Ex-Freundes von Montera war zwingend, selbst wenn die Polizei Miami ihn schon verhört hatte. Und er hatte Pendergast versprochen, den Mann zu vernehmen. Ausgeschlossen, dass er einen möglichen Tatverdächtigen laufen ließ – auch wenn sein Gewissen das erlaubte.
Seufzend traf er aufs Gaspedal und fuhr zurück auf den Freeway in Richtung Westen. Binnen Minuten waren sogar die anderen Scheinwerfer verschwunden, und nur die hohen Lichtmasten leisteten ihm Gesellschaft. Links und rechts nichts als totale Finsternis. Coldmoon ließ den Tacho auf 80 Meilen pro Stunde steigen, dann 90, bevor die Nadel über 100 vorrückte. Falls ihn eine Verkehrsstreife stoppte, würde der Kollege ihn hoffentlich laufen lassen. Wenn nicht – na ja. Es versprach ja sowieso diese Art von Nacht zu werden.
Es war halb elf, als er den Shelby auf dem freien Parkplatz direkt vor
Ein Mitarbeiter des Parkservice näherte sich dem Fahrerfenster. »Schlüssel?«
»Wo finde ich Lance Corvin?«, fragte Coldmoon.
»Das ist der da«, sagte der Einparker und zeigte auf einen der Männer in Lederwesten.
»Ich möchte mit ihm reden.« Er griff nach seinem Handy, schob die Tür auf und stieg aus.
»Sir, Sie können Ihren Wagen nicht hier stehen –«
»Ich sagte: Sagen Sie ihm, dass ich mit ihm sprechen will.«
Aber Corvin hatte den kurzen Wortwechsel mitbekommen und kam auch schon herüber. Er stieß den Einparker beiseite – nicht allzu sanft. »Jaa?«
»Lance Corvin?«
»Was is’?«
»Agent Coldmoon vom FBI.« Coldmoon erwog, seinen Dienstausweis aus der Gesäßtasche zu ziehen, beschloss aber, das bleiben zu lassen. Er lehnte sich mit dem Rücken an den Wagen. »Ich hab ein paar Fragen bezüglich Felice Montera.«
Die Miene des Türstehers verhärtete sich. »Die Bullen haben mich schon alles danach gefragt.«
»Schön für Sie. Und jetzt frage
»Ich hab vorgestern Abend hier gearbeitet. Mich müssen Tausende Leute gesehen haben.«
»Vielleicht. Aber der Klub schließt um drei. Ms Montera wurde erst nach vier getötet.«
»Corvin!«, rief der andere Türsteher und winkte ihn zu sich. »Sag dem Idioten, er soll seinen Wagen wegfahren, und komm wieder her!«
»Das ist eine Stunde, um ganz Florida zu durchqueren. Glauben Sie, ich hab Flügel, oder was?«, sagte Corvin.
»Vielleicht haben Sie in jener Nacht ja etwas früher Ihren Arbeitsplatz verlassen.«
Corvin verschränkte die muskelbepackten Arme vor der Brust. »Nun passen Sie mal auf. Ich hab die Schlampe nicht umgebracht. Okay? Frage beantwortet. Und jetzt fahren Sie Ihr Scheißauto weg.«