Coldmoon vernahm ein kurzes, halblaut geführtes Gespräch, Schritte, die die Treppe heraufkamen, und dann erschien Dr. Fauchet in der Tür, mit Commander Grove im Schlepptau. Sichtlich überrascht blickte sie sich um. Axel war nicht bei ihnen – offenbar hatte er die Gelegenheit genutzt, einer seiner dubiosen Privatangelegenheiten nachzugehen.
»Dr. Fauchet. Commander Grove. Herzlich willkommen. Bitte nehmen Sie Platz.« Pendergast zeigte zum Tisch. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Evian? Pellegrino?«
»Was ist das hier für eine Wohnung?«, fragte Grove.
»Mein eigenes kleines Refugium«, sagte Pendergast. »Nennen Sie es einen meditativen Rückzugsort.«
Fauchet und Grove setzten sich kopfschüttelnd an den Tisch. Fauchet legte einen großen Arm voll Akten auf den antiken Tisch, so lässig, als wäre der bei Ikea gekauft worden. Unterdessen räumte Grove einen Bereich frei und legte seine Aktentasche darauf ab.
»Commander Grove«, sagte Pendergast und drehte sich zu ihm um. »Ich glaube, Sie haben Neuigkeiten für mich.«
Grove zog sein unvermeidliches Notizheft hervor. Coldmoon fand es erstaunlich, dass Grove so viele Informationen auf so kleinem Raum parat haben konnte. Die andere Hälfte musste er wohl abrufbar im Kopf haben.
»Ich musste meine Leute in den letzten vierundzwanzig Stunden ziemlich auf Trab halten. Die für die Recherche und die Analyse zuständigen Teams haben über das ViCap-Programm Suchanfragen mit Datenbanken des öffentlichen Gesundheitssystems sowie den bundesstaatlichen und lokalen Polizeibehörden korreliert – und zwar die Ostküste rauf und runter. Wobei die lokalen Datenbanken natürlich geschützte Such– und Indexierungs-Methoden verwendeten, von den üblichen falschen Einträgen und falschen Positivmeldungen, die alles verlangsamen, ganz zu schweigen.« Diese kleinen Ärgerlichkeiten tat er mit einer knappen Handbewegung ab. »Wie auch immer, aus mehreren Tausend Selbstmorden haben wir schließlich achtzehn herausgefiltert, die dem Muster entsprechen: das richtige Alter, Datum, Ort, Art des Erstickens, mutmaßliche Todesursache. Ich habe die Obduktions-Gutachten und Polizeiberichte an Dr. Fauchet weitergeleitet, die Ihnen ihren Befund nun mitteilen wird.«
Nach dieser bewundernswert kurzen Einführung nahm Dr. Fauchet den Faden auf. »Als Erstes sollte ich Ihnen mitteilen, dass ich auf Grundlage der Obduktionsfotos, die die Polizei Miami schließlich der rechtsmedizinischen Abteilung des Rocky Mount abluchsen konnte, bestätigen kann, dass Mary Adler auf eine Art getötet wurde, die den Morden an Elise Baxter und Agatha Flayley ähnelt: durch einen Druck-Würgegriff, durch den im Fall von Mary Adler der rechte Flügel des Zungenbeins brach und der linke unversehrt blieb. Eindeutig ein Mord, er wurde zwar gut verborgen, aber es handelt sich unbestreitbar um ein Tötungsdelikt. Zudem wurde der Körper des Zungenbeins partiell gebrochen, höchstwahrscheinlich im Rahmen eines inszenierten Erhängens, das nach ihrem Tod stattgefunden hat. Was die achtzehn Selbstmorde betrifft, konnte ich fünfzehn aus verschiedenen Gründen aussortieren. Bei diesen handelt es sich zweifelsfrei um Suizide, und die Art der Traumata, die den Obduktionsfotos und den Aufzeichnungen des Rechtsmediziners ganz klar zu entnehmen sind, passen nicht zu unseren drei Opfern. Den sechzehnten Fall habe ich aussortiert, weil ich, obwohl ein Flügel des Zungenbeins gebrochen war, bei näherer Betrachtung des Falls festgestellt habe, dass kein Mord vorliegt, weil das Geländer, an dem sich die Frau erhängt hat, zusammenbrach, wodurch erhebliche Verletzungen sowohl am Oberkieferknochen wie auch am Hals selbst verursacht wurden.« Sie hielt kurz inne. »Andererseits findet sich bei den beiden anderen Frauen genau jener Modus Operandi, nach dem wir suchen: die Fraktur von mindestens einem Flügel des Zungenbeins, wobei der rechte Flügel stärker eingedrückt ist als der linke, gefolgt von einem Post-mortem-Erhängen mit einem geknoteten Bettlaken.«
»Sie sind also überzeugt, dass es sich um Morde handelt, die von unserem Mörder so inszeniert wurden, dass sie wie Selbstmorde aussehen?«, fragte Pendergast.
»Ich bin überzeugt, dass es sich um Morde handelt, die als Selbstmorde inszeniert wurden«, sagte Fauchet. »Was die Frage betrifft, wer diese Morde verübt hat – nun, das herauszufinden, liegt in Ihrer Verantwortung, Agent Pendergast.« Diese Entgegnung ging einher mit einem Lächeln, während sie gleichzeitig ihre Aktentasche öffnete, aus der sie zwei braune Mappen hervorholte, die sie über den Tisch Pendergast und Coldmoon reichte.