Harry konnte an nichts anderes denken als an das Spiel am nächsten Tag. Oliver Wood rannte in jeder Pause zu ihm und gab ihm Tipps. Beim dritten Mal redete Wood so lange auf ihn ein, bis Harry erschrocken feststellte, daß er schon zehn Minuten zu spät war für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Er rannte los und Wood rief ihm nach:
»Diggory bricht sehr schnell seitlich aus, Harry, also versuchst du es am besten mit einem Looping -«
Harry schlitterte bis vor die Klassenzimmertür, öffnete sie und huschte hinein.
»Entschuldigen Sie, daß ich zu spät komme, Professor Lupin, ich -«
Doch es war nicht Professor Lupin, der da am Lehrerpult saß und ihn ansah; es war Snape.
»Diese Unterrichtsstunde hat vor zehn Minuten begonnen, Potter, und ich denke, wir ziehen Gryffindor zehn Punkte ab. Setz dich.«
Doch Harry rührte sich nicht.
»Wo ist Professor Lupin?«, fragte er.
»Er sagt, er fühle sich heute zu krank, um zu unterrichten«, sagte Snape mit einem schiefen Lächeln.»Hab ich nicht gesagt, du sollst dich setzen?«
Doch Harry rührte sich nicht vom Fleck.
»Was hat er denn?«
Snapes schwarze Augen glitzerten.
»Nichts Lebensbedrohliches«, sagte er mit einem Blick, als wünschte er ebendies sehnlichst herbei.»Noch einmal fünf Punkte Abzug für Gryffindor, und wenn ich dich noch einmal auffordern muß, dich zu setzen, werden's fünfzig.«
Langsam ging Harry zu seinem Platz und setzte sich. Snape blickte in die Runde.
»Wie ich gerade sagte, bevor Potter uns unterbrach, hat Professor Lupin keine Notizen über den Stoff hinterlassen, den Sie bisher behandelt haben -«
»Bitte, Sir, wir haben Irrwichte behandelt, Rotkappen, Kappas und Grindelohs«, sprudelte Hermine los,»und wir wollten gerade mit -«
»Schweigen Sie«, sagte Snape mit kalter Stimme.»Ich habe nicht um Aufklärung gebeten. Mir ist nur Professor Lupins Mißwirtschaft aufgestoßen.«
»Er ist der beste Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste, den wir je hatten«, sagte Dean Thomas wagemutig, und murmelnd stimmte ihm der Rest der Klasse zu. Snape sah jetzt bedrohlicher aus denn je.
»Sie sind leicht zufrieden zu stellen. Lupin überfordert Sie ja kaum – ich selbst gehe davon aus, daß schon Erstkläßler mit Rotkappen und Grindelohs fertig werden. Heute behandeln wir -«
Harry sah ihn das Lehrbuch durchblättern, bis zum letzten Kapitel, von dem er wissen mußte, daß sie es noch nicht behandelt haben konnten.
»- Werwölfe«, sagte Snape.
»Aber, Sir«, sagte Hermine, die sich offenbar nicht im Zaum halten konnte,»wir sollten jetzt noch nicht die Werwölfe behandeln, eigentlich wollten wir mit Hinkepanks anfangen -«
»Miss Granger«, sagte Snape mit eisiger Gelassenheit.»Ich war davon ausgegangen, daß ich den Unterricht halte und nicht Sie. Und nun schlagen Sie alle die Seite dreihundertundvierundneunzig auf,«Wieder blickte er in die Runde.»Alle, habe ich gesagt! Und zwar sofort!«
Unter vielen verbitterten Seitenblicken und trotzigem Gemurmel schlugen sie ihre Bücher auf
»Wer von Ihnen kann mir sagen, wie man einen Werwolf von einem richtigen Wolf unterscheidet?«, fragte Snape.
Alle saßen sie reglos und schweigend da; alle außer Hermine, deren Hand wie so oft nach oben geschnellt war.
»Keiner?«, sagte Snape ohne Hermine eines Blickes zu würdigen. Wieder setzte er sein schiefes Lächeln auf.»Wollen Sie mir sagen, daß Professor Lupin Ihnen nicht einmal den einfachen Unterschied zwischen -«
»Wir haben Ihnen doch gesagt«, platzte mit einem Mal Parvati los,»daß wir noch nicht bei den Werwölfen waren, wir sind immer noch auf -«
»Ruhe!«, bellte Snape.»Schön, schön, schön, ich hätte nie gedacht, daß ich einmal auf eine dritte Klasse stoßen würde, die nicht mal einen Werwolf erkennt, wenn sie einem gegenübersteht. Ich werde Professor Dumbledore ausdrücklich davon in Kenntnis setzen, wie weit sie hinterher sind…«
»Bitte, Sir«, sagte Hermine, die Hand immer noch nach oben gestreckt,»der Werwolf ist vom echten Wolf durch mehrere kleine Merkmale zu unterscheiden. Die Schnauze des Werwolfs -«
»Das ist das zweite Mal, daß Sie einfach reinreden, Miss Granger«, sagte Snape kühl.»Noch einmal fünf Punkte Abzug für Gryffindor, weil Sie eine unerträgliche Alleswisserin sind.«
Hermine wurde puterrot, ließ die Hand sinken und starrte mit wäßrigen Augen zu Boden. Wie sehr sie alle Snape hasten, erwies sich jetzt, als die ganze Klasse ihn mit zornfunkelnden Augen anstarrte, obwohl jeder von ihnen Hermine irgendwann einmal eine Alleswisserin genannt hatte, und Ron, der Hermine mindestens zweimal die Woche so nannte, sagte laut:
»Sie haben uns eine Frage gestellt und sie weiß die Antwort! Warum fragen Sie eigentlich, wenn Sie es doch nicht wissen wollen?«
Noch während Ron sprach, erkannte die Klasse, daß er zu weit gegangen war. Snape ging langsam auf Ron zu, und ringsum hielten sie den Atem an.
»Strafarbeit, Weasley«, sagte Snape mit öliger Stimme, das Gesicht ganz nahe an dem Rons.»Und wenn ich noch einmal höre, daß Sie meine Unterrichtsweise kritisieren, dann wird Ihnen das wirklich Leid tun.«