153 Flottenvertrag vom 18. Juni 1935, in dem Deutschland seine Flottenrüstung freiwillig auf 35% der britischen beschränkt
167
Duff Cooper, der Erste Lord der Admiralität, hatte vier Tage vorher aus Protest gegen das Münchener Abkommen seinen Abschied eingereicht, und Eden sowie Churchill hatten während der Unterhausdebatte zum Vertrag die Auffassung vertreten, daß England gegen Deutschland hätte kämpfen müssen, um die Sudetengebiete für die Tschechoslowakei zu sichern. So hängt der britisch-deutsche Haussegen schon wieder schief, kaum daß Chamberlain und Hitler 10 Tage vorher das englisch-deutsche Freundschafts- und Konsultationsversprechen gemeinsam unterschieben hatten.
Hitlers Reaktion auf Englands neue Parlamentsentscheidung und auf den dort beschlossenen Rüstungsschub läßt auch nicht lange auf sich warten. Mit Blick auf Englands und auf Frankreichs Ungewisse Haltung gegenüber Deutschland sieht Hitler in der Tschechoslowakei mit ihren 45 Heeresdivisionen und einer um die 1.500 Flugzeuge starken Luftwaffe nach wie vor eine Gefahr in Deutschlands Rücken. Dazu kommt, daß Hitler den Westteil der Tschechoslowakei, nämlich die Tschechei, für historisch zum Deutschen Reich gehörend hält und ihn auch deshalb annektieren will. So mischt sich bei Hitler defensives Denken mit aggressiven Plänen. Als er drei Wochen nach der Konferenz von München der Wehrmacht eine neue Weisung für ihre Aufgaben in der Folgezeit erteilt, nennt er neben dem Schutz der Grenzen des Deutschen Reichs und der
Inbesitznahme des noch von Litauen annektierten Memellandes die „Erledigung der Rest-Tschechei“. Es heißt in dieser Weisung:
So bleibt die Rest-Tschechei auf Hitlers Tagesordnung, auch wenn der Diktator Termin und Einzelheiten jetzt noch offenläßt. Er setzt offensichtlich auf die selbstzerstörerischen Kräfte innerhalb der Tschechoslowakei. Ansonsten hüllt sich Hitler in dieser Sache nach außen hin in Schweigen. Noch ein anderes Land behält die Tschechoslowakei auf der Agenda. Der polnische Botschafter Lipski spricht am 24. Oktober bei Hitler vor und bekundet Polens Interesse, die Karpato-Ukraine Ungarn zuzuschlagen. Lipski erwähnt bei der Gelegenheit, daß seine Regierung seit geraumer Zeit versucht, Ungarn zur Eroberung der Karpato-Ukraine zu bewegen.156
Bitter sind die Entscheidungen von München für die Tschechen in den Gebieten, die nun zu Deutschland kommen. Etwa die Hälfte der rund 700.000 Tschechen in 154 Domarus, Band 1, Seite 955
155 Domarus, Band 1, Seite 960
156 ADAP, Serie D, Band V, Dokument 81
168
den Sudetenlanden optiert nach dem in München zugestandenen Recht für die Tschechoslowakei und siedelt dorthin um. Die andere Hälfte – etwa 350.000
Tschechen – verbleibt bei den Sudeten, ohne dadurch späterer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Das Optieren für die Tschechoslowakei ist für die Betroffenen ein schwerer Gang gewesen, auch wenn die Mehrheit dieser Menschen erst nach 1919 in die Sudetenlande eingewandert war. Trotz der zugestandenen sechs-Monats-Frist und trotz des Rechts, alles Eigentum mit sich zu führen, haben viele Tschechen ihre Heimat in aller Eile und unter Zurücklassung mancher Habe verlassen. Eine Vertreibung ist es trotzdem nicht gewesen. Dieser Exodus, so schlimm er auch für die Betroffenen gewesen, ist kein Vorgänger der Vertreibung der Sudetendeutschen durch die Tschechen von 1945, bei der etwa 272.900 Menschen durch Mord und Totschlag und auf andere Weise um ihr Leben kommen157.
Das Münchener Abkommen wird nach dem Zweiten Weltkrieg annulliert, und es dient den Tschechen und den Siegern, die Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer angestammten Heimat im Jahre 1945 und die Dekrete des Ministerpräsidenten Beneš zu begründen. Das Abkommen wird dabei im Nachherein zur Ursache der Vertreibung und der Dekrete umgedeutet. Doch das Abkommen von München ist nicht zuerst die Ursache für die Verbrechen der Tschechen an den Sudetendeutschen im Jahre 1945 sondern vorher 1938 die Wirkung der Wortbrüche, Diskriminierungen, Vergehen und Verbrechen der Tschechen an