Wieder trat die rätselhafte Automatik in Funktion, und in der Wand bildete sich das bekannte Fünfeck. Dahinter eröffnete sich dem Blick ein dunkler, lichtloser Raum, die zweite Abteilung des Ringes.
Sobald Melnikow die Schwelle überschritten hatte, wiederholte sich der bekannte Vorgang: Die Luft erstrahlte in hellblauem Licht, während in dem Raum, den sie verließen, die Luft „erlosch“. Sofort hinter Wtorow schloß sich die Tür wieder. Die zweite Abteilung war eine genaue Kopie der ersten.
Auch hier schwebte der „gläserne“ Pfad in der Luft, lagen die gleichen Zylinder umher.
„Wahrscheinlich sind dies die Maschinenräume“, sagte Melnikow. „Vielleicht enthält der gesamte innere Ring Antriebsmechanismen.
„Kehren wir um?“ „Und wie bekommen wir die Türen auf! Nein, wir wandern lieber durch die ganze Röhre. Vielleicht kann man sie nur in einer Richtung begehen.“ Sechzig Meter weiter standen sie abermals vor einer geschlossenen Wand. Sie waren überzeugt, daß sich auch diesmal eine Tür öffnen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Melnikow streckte die Hand aus. Aber keine Reaktion.
„Wie ist das möglich?“ fragte er bestürzt. „Ob die Automatik versagt?“ „Kehren wir um.“ „Aber auch dort ist die Tür doch verschlossen.“ Sie standen und wußten nicht, was sie tun sollten. Die Tür zur radialen Röhre öffnete sich nicht — sie hatten es ja versucht.
Hier aber schien überhaupt keine Tür zu sein.
Tiefe Stille umgab sie. Lautlos und weich umfloß der leuchtende Nebel die farbigen Zylinder und die beiden Menschen, die ratlos auf dem schmalen „gläsernen“ Pfad standen. Unerbittlich schien etwas auf sie zuzukommen, als Vergeltung für ihr freches Eindringen.
Sie schwiegen und horchten instinktiv. Die Hörapparate ihrer Helme hätten das leiseste Rascheln wahrgenommen, doch außer dem Atem des anderen hörte keiner von ihnen etwas. Und wo sollten in einem „toten“ Raumschiff auch Laute des Lebens herkommen? Vielleicht hätte sich dort, wo die ungewöhnliche Automatik untergebracht war, die über einen „Gesichtssinn“ und einen „Verstand“ verfügte, das auf so rätselhafte Weise erhalten gebliebene Leben der Mechanismen durch irgendein Geräusch kundgetan, hier aber herrschte Totenstille.
Etwas kam auf sie zu, unabwendbar und drohend. Was konnten sie zu ihrer Rettung unternehmen?
Und da, als beide schon dachten, nur noch die Kameraden draußen könnten ihnen helfen, geschah es.
Hätten sie nicht den Fotoapparat, mit dem Wtorow eifrig Aufnahmen machte, als unbestechlichen Zeugen bei sich behabt, sie hätten hinterher selbst an dem Gesehenen gezweifelt. Aber das Objektiv hielt den unglaublichen Anblick exakt für alle Zeiten fest.
Die gelbgraue Wand, die ihnen den Weg versperrte, verschwand plötzlich. Verschwand restlos. Doch was sich dahinter befand, blieb nach wie vor unsichtbar. Wo eben noch Metall gewesen war, am Ende des „gläsernen“ Stegs, irrlichterten blaue Funken. Sie schienen ein Netz kristallener Fäden zu bilden, hinter dem sich in endloser Tiefe dunkelblaue Finsternis dehnte.
Nur zwei Schritt vor sich aber erblickten die verblüfften Erdenbewohner — einen Menschen des anderen Planeten, einen der Herren dieses merkwürdigen und unbegreiflichen Raumschiffs.
Er stand ihnen gegenüber und blickte sie an. Eine blitzende Aureole blauer Fäden umgab ihn, und er sah völlig real aus, schien ein lebendiger Mensch aus Fleisch und Blut. Klein, schlank und zart, war er in allem das Ebenbild eines Erdenmenschen. Er trug enganliegende dunkelblaue Kleidung, ähnlich dem Trikot der Tänzer. Um den Hals hing eine dünne, silberfarbene Kette.
Nur den Bruchteil einer Sekunde standen er und die Menschen regungslos. Da hörte Melnikow auch schon das Klicken des Fotoapparates — Wtorow hatte den Unbekannten aufgenommen.
Mit langsamen, gleitenden Bewegungen streckte der geheimnisvolle Hausherr die Hände gegen sie aus, als wolle er die Erdenmenschen willkommen heißen.
Da merkten die beiden Raumfahrer, daß sie keinen lebenden Menschen, sondern offenbar die wundersame Erscheinung eines längst Verstorbenen vor sich hatten. Kristallene Fäden durchdrangen seinen ganzen Körper, die Bewegungen waren kaum merklich abrupt.
Jetzt begriffen die beiden Kosmonauten den Sinn des Ganzen. Die unbekannten Herren des Raumschiffes hatten bereits vor Tausenden von Jahren die Ankunft der Erdenmenschen auf der Venus vorausgesehen und sich auf sie vorbereitet. Sie begrüßten die Gäste mit Hilfe ihrer vollendeten Technik. Vor Melnikow und Wtorow stand der wieder zum Leben erweckte Schatten einer fernen Vergangenheit.
Und der Schatten fing an zu sprechen. Sie vernahmen melodische Töne, die sich wie ein getragenes Lied anhörten.
Tief bewegt lauschten sie der Stimme des längst gestorbenen Bewohners eines anderen Planeten, den Begrüßungsworten eines älteren Bruders an sie, die er nicht kannte, an deren Kommen er aber schon vor Jahrtausenden geglaubt hatte.