Die Stimme verstummte. Als zerschmelze sie, verschwand auch die Erscheinung. In der Schnelligkeit der einander kreuzenden Fäden verdichtete sich die blaue Finsternis zu einem festen Vorhang. Wieder schimmerte die Querwand in gelbgrauem Glanz, als habe es nie eine Erscheinung gegeben.
Und wie zum Beweis, daß die Menschen an der Bedeutsamkeit des soeben Geschauten nicht zu zweifeln brauchten, öffnete sich einladend die Tür zur nächsten Abteilung.
Sie war erfüllt von dem gleichen gedämpften hellblauen Licht.
Doch gab es hier weder Zylinder noch einen „gläsernen“ Steg.
Ein ganz anderer Anblick tat sich auf.
„Über Jahrtausende hinweg“, sagte Melnikow, „haben uns die ersten Menschen, die die Venus besuchten, ihre brüderlichen Grüße entboten. Wir wissen nicht, wie und weshalb sie hier umgekommen und nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Aber wir müssen und werden es erfahren. Wir sind ihre Erben.“
Der fünfte Planet
Schon hat die Wissenschaft gewaltige Gipfel erstürmt, von denen sich weite Blicke auftun. Wir „sehen“ unzählige Welten, die wie die Erde von vernünftigen Wesen bewohnt sind und auf denen sich, wie bei uns, das Leben langsam und allmählich, aber unaufhaltsam höher entwickelt.
So wie der Tod des Einzelmenschen nicht das Dasein der Menschheit beendet, kann auch der Tod der Menschheit nicht das Ende des Lebens auf anderen Welten bedeuten. Selbst wenn wir annehmen wollten, im ganzen uns sichtbaren Weltall würde das Leben ausgelöscht, bliebe es doch immer noch dort erhalten, wo der Blick des Menschen nicht (oder besser, noch nicht) hindringt.
Es gab eine Zeit, da unser Sonnensystem nicht neun, sondern zehn Planeten umfaßte. Zwischen Mars und Jupiter kreiste, von der Sonne aus gerechnet, ein fünfter Planet. Er ging zugrunde.
Wie und weshalb, weiß niemand. Doch was heute noch unbekannt ist, wird morgen bekannt sein.
Die Bewohner des fünften Planeten verschwanden aus dem Weltall. Ihr Geist jedoch, der einen langen und beschwerlichen Entwicklungsweg zurückgelegt hatte, war bereits mächtig genug, um anderen Welten, anderen vernünftigen Wesen von seiner einstigen Existenz Kunde zu hinterlassen. Die Bewohner des zum Untergang verurteilten Planeten verstanden Raumschiffe zu bauen, um mit ihnen die sterbende Heimat zu verlassen. Daß eins dieser Raumschiffe auf der Venus lag, zeugte davon, daß sie es wirklich getan hatten.
Doch war dies ihr einziges Raumschiff? Wohin hatten sich die anderen gerettet? Wo hatten die verwaisten Bewohner des Planeten Asyl gefunden? Auch das wird einmal erforscht werden.
Eines der Raumschiffe hatte jedenfalls die Venus erreicht und war nun entdeckt worden. Seine Erbauer hatten sehr wohl gewußt, daß ihr Heimatplanet nicht die einzige von vernunftbegabten Wesen bewohnte Welt war. Sie glaubten fest daran, daß früher oder später die Bewohner anderer Planeten auf der Venus erscheinen würden. Sie wußten auch, daß ihr Raumschiff Jahrtausende überdauern konnte, und glaubten, daß der Verstand der ihnen noch unbekannten Weltraumfahrer dem ihren gleichen würde. Und da sie dies alles wußten und glaubten, hatten sie sich auf die Ankunft jener vorbereitet, die das von ihnen hinterlassene Wissenserbe in der endlosen Abfolge der Entwicklung des Geistes empfangen, erweitern und weiterentwickeln sollten.
Wissen und Technik werden nicht nur in den Grenzen eines Planeten von Generation auf Generation vererbt. Sie können als Beweis der engen Verbundenheit aller denkenden Wesen auch von einem Planeten auf den anderen übergehen.
Jene, die mit dem ringförmigen Raumschiff zur Venus gefahren waren, hatten das gewußt.
Das erste, was Melnikow und Wtorow sahen, als sie die dritte Abteilung des Raumschiffes betraten, war ein Schema des Sonnensystems, das ihnen genau gegenüber an der Wand hing. Es war ein großer Bogen bläulichen Papiers, jedenfalls sah es genauso wie Papier aus.
Die beiden Raumfahrer bemerkten sofort eine Besonderheit dieses Schemas, die es von analogen Schemata der irdischen Astronomie unterschied, und sie begriffen, daß es eigens für sie aufgehängt worden war.
Hier erhielten sie den ersten Hinweis auf das — wie sich bald herausstellen sollte — gewaltige Erbe, das ihnen die Wissenschaft eines aus dem Weltall verschwundenen Planeten hinterlassen hatte.
Das Schema zeigte die Umlaufbahnen von zehn Planeten.
Zehn, nicht neun! Jeder Planet war als kleiner Kreis im richtigen Größenverhältnis und mit den Umlaufbahnen seiner Trabanten dargestellt.
Schon von der Tür aus erblickten Melnikow und Wtorow den „überzähligen“ Planeten, und sie wußten sofort Bescheid.
„Da haben wir endlich den untrüglichen Beweis, daß tatsächlich ein fünfter Planet existiert hat“, sagte Melnikow. „Und von dort sind sie gekommen.“ „In unserer Astronomie wird er ja wohl Phaeton genannt?“ fragte Wtorow.