Das Problem war bloß, dass der Gerichtsmediziner trotz all seiner Expertise die Obduktion ohne den geringsten Zweifel bezüglich der Schlussfolgerungen der Polizei angegangen zu haben schien – dass es sich um einen ganz klaren Fall von Selbstmord handele. Diese mangelnde Skepsis verhinderte, dass er eine Frage stellte: Wie konnte bei einem unvollständigen Erhängen wie diesem ein Zungenbein
Interessant.
Sie wandte sich dem Polizeibericht über den »Selbstmord« zu. Winters, freiberufliche Fotografin, vierundzwanzig, war die Interstate 95 in Richtung Norden gefahren. Sie hatte den Auftrag bekommen, die Hochzeit ihrer Cousine in Massachusetts zu fotografieren. Um acht Uhr war sie am Wildwood Manor Hotel an der Abfahrt zur 495 angekommen und hatte eingecheckt. Tags darauf fand eine Putzfrau sie, Stunden nach der Zeit zum Check-out.
Der ermittelnde Beamte, Sergeant Sweetser, war ein Profi, der sehr gründlich ermittelt hatte. Er hatte aus dem Gästebuch des Motels die Namen, Automarken und Nummernschilder der anderen Gäste des Vorabends kopiert, dazu Kurzbeschreibungen zu jedem Gast festgehalten, die ihm der Geschäftsführer gegeben hatte.
Fauchet blätterte in den Vernehmungsprotokollen. Nichts von Interesse. Niemand hatte irgendetwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört, und alle Personen hatten von sich auf normale, unverdächtige Art erzählt. Winters hatte keine Besucher gehabt, jedenfalls war niemandem etwas aufgefallen. Und der Nachtportier bestand darauf, er hätte so etwas bemerkt, da ja jeder, der mit dem Auto ankam oder abfuhr, an seinem Büro vorbeigehen musste.
Mithilfe von Google Street View schaute sich Fauchet die Fassade des Motels an, das immer noch existierte. Es lag direkt an der Autobahn, außerhalb der Stadt, und war zu Fuß gar nicht leicht zu erreichen. Das bedeutete, dass die Mörder vermutlich in dem Motel abgestiegen waren.
Der gute alte Sergeant Sweetser hatte sechs Gäste befragt, die Übrigen hatten allerdings schon ausgecheckt, als die Polizei eintraf. Fauchet hielt es für wahrscheinlich, dass die Mörder an jenem Morgen das Motel früh verlassen hatten. Warum bleiben und sich in Ermittlungen verwickeln lassen? Also wären die Mörder nicht unter denjenigen, die befragt worden waren. Ein weiterer wichtiger Hinweis.
Beim kurzen Überfliegen der Liste mit den Nummernschildern sah sie, dass es da ein weiteres Florida-Nummernschild gab, es gehörte zu einem 1997er Mercury Tracer-Kombi mit dem Kennzeichen JW24-99X. Wenn der Mörder aus Florida kam, wie Pendergast beim gestrigen Treffen angedeutet hatte, konnte es sich hier um einen weiteren Hinweis handeln. Und es machte ja Sinn: Wenn die Mörder, aus Florida kommend, auf der Interstate 95 nach Norden reisten, auf der Jagd nach Opfern, dann wäre es ziemlich leicht, kurz auf einen Motel-Parkplatz zu fahren und nach Fahrzeugen mit einem Florida-Kennzeichen zu suchen.
Sweetsers Bericht zufolge stand im Gästebuch des Motels, dass der Tracer einem gewissen George Lehigh gehörte. Der zweite Gast des Zimmers war als sein Sohn, Travis, eingetragen.
Fauchet fröstelte. Die beiden befanden sich nicht unter jenen Gästen, die befragt worden waren. Aber Sweetser hatte vom Manager eine Personenbeschreibung bekommen. Fauchet las sie und stellte enttäuscht fest, dass sie oberflächlich war: beide mit braunem Haar, durchschnittlich groß, durchschnittlicher Körperbau, keine besonderen Merkmale, außer dass Vater und Sohn Baseballkappen der Marlins trugen. Der Sohn, Travis, »schien so um die sechzehn zu sein«.
Fauchet legte den Bericht aus der Hand und dachte einen Moment lang nach. War