Pendergast sah ihn ungläubig an. »Ich hätte gedacht, dass das offensichtlich ist. Ich schaue mir Ihre Pistole an.«
Coldmoon streckte die Hand aus. »Geben Sie sie her. Sofort.«
Einen Augenblick lang fiel Pendergasts Blick auf Coldmoons Hand, dann kehrte er zu seinem Gesicht zurück. Etwas in diesen kalten Katzenaugen löste eine instinktive Furcht in ihm aus.
Momente lang stierten sie einander nur schweigend an. Schließlich schob Pendergast das Magazin in die Kammer zurück. »Agent Coldmoon, wir sitzen hier in dieser abgelegenen, trostlosen Gegend fest und sind gegen unseren Willen gezwungen, uns auf unangenehme Weise nahe zu sein. Unter diesen Umständen ist dieses Bett – mit dem einen Kissen – der einzige Ort in ganz Maine, den ich mein Eigen nennen kann. Sie haben sich mit Ihrem Papierkram auf dem anderen Bett eingerichtet. Also, da Sie Ihre Faustfeuerwaffe ganz bewusst auf
Und damit schob er die Browning ins Holster zurück und hielt es Coldmoon wortlos hin.
Coldmoon nahm es an sich und legte es, ebenfalls schweigend, auf den Nachttisch auf der anderen Bettseite. Gleichzeitig ging ihm auf, dass er gerade eben von seinem Seniorpartner ziemlich selbstgerecht abgekanzelt worden war. Und als er aufstand und seinen Kaffeebecher aus dem sprudelnden Wasserkocher nachfüllte, wurde ihm außerdem klar, dass er es verdient hatte. Denn Pendergast hatte es nicht nur mit einem starrköpfigen Chef und einem schwierigen beruflichen Umfeld zu tun, sondern irgendwie liefen die Ermittlungen auch nicht nach Plan. Das Letzte, was er brauchte, war, von seinem Partner nicht respektiert zu werden.
Coldmoon nahm sich eine der Fallakten und setzte sich leise stöhnend zurück auf sein Bett. Wahrscheinlich sollte er dem armen Mann ein bisschen Spielraum lassen.
Plötzlich erwachte Coldmoon aus einem traumlosen Schlaf. Zunächst war er verwirrt. Es war nicht dunkel, sondern hell. Dann blinzelte er – und bemerkte, wo er sich befand: im Zimmer 101 des
Als es erneut klingelte, wurde Coldmoon bewusst, dass sein Handy ihn geweckt hatte. Er zog es aus der Hosentasche und sah, dass es Viertel nach zwölf war. »Ja?«
Als er die Stimme hörte, war seine Schläfrigkeit wie weggeblasen. »Ja, Sir?«
»Wo sind Sie?«
»In einem Motel außerhalb von Millinocket.«
»Okay.« Picketts barsche Stimme. »Und nun hören Sie mal genau zu. Ich möchte, dass Sie beide Ihre Koffer packen. Außerdem will ich, dass Sie sich in die früheste Maschine nach Miami setzen und zurückkommen. Es ist mir egal, ob Sie mit dem Auto nach Boston fahren müssen, um den Flug zu erreichen – Sie buchen und steigen in den Flieger.«
Pendergast, der immer noch auf dem Bettrand saß, drehte sich um und hörte genau hin. »Wird gemacht«, sagte Coldmoon, setzte sich auf und schob seine Füße in die Stiefel. »Was ist denn los?«
»Was
Dann war die Leitung unterbrochen.
12
Coldmoon war noch nie in South Beach gewesen. Er hatte nur Bilder davon auf Postkarten gesehen oder Fotos vom dortigen Nachtleben auf Internetseiten, die exotische Urlaube annoncierten. Jetzt, da ihr Taxi die Fahrt im Schneckentempo vom Miami International über die Insel beendet hatte und von der Fifth Street auf den Ocean Drive bog, bot sich ihm ein ziemlich anderes Bild. Im erbarmungslosen frühmorgendlichen Glast, ohne die Neonlichter und die gnädige Dunkelheit, wirkte der berühmte Boulevard langweilig und schäbig, und man sah, dass die Markisen der Hotels und die Sonnenschirme der Outdoor-Restaurants unter den Palmen von der Sonne ausgeblichen waren.
Was dagegen nicht anders war als am Abend – das waren die Menschenmassen. Selbst um neun Uhr morgens bevölkerten die Leute schon die Straße, sie trugen Shorts und T-Shirts, Bikinis und Sonnenhüte, die Handys fast ständig in Händen haltend und bereit für die nächste Gelegenheit für ein Selfie. Mehrere Häuserblocks weiter vorn sah Coldmoon eine größere Menschenansammlung, die nur eines bedeuten konnte.