Da war zum Beispiel der Artikel über den Parapsychologen, der, mit Geister-Pendel und Ouija-Brett ausgestattet, in das Flayley-Mausoleum eingebrochen war und behauptete, mit der Toten in Verbindung zu stehen. Und da war die Eisenhans-Männerliteratur-Gruppe, die von einer radikalen Feministin »gedisst« wurde. Und der glücklose Herzchirurg, der, Opfer einer Verschwörungstheorie, die viral ging, am Vortag morgens in seiner Klinik angekommen war und feststellte, dass eine wütende Menge auf ihn wartete.
Hinzu kam, dass Pendergasts Überraschungsauftritt im Fernsehen am Vorabend, statt die Situation zu beruhigen, die Stadt in Aufruhr versetzt hatte. Halb Miami war wütend auf den anscheinend mitfühlenden Ton, den Pendergast in seinem spontanen Appell angeschlagen hatte, während die andere Hälfte sich über die Behörden aufregte, weil diese Mister Brokenhearts noch immer nicht gefasst hatten. Man redete kaum noch über etwas anderes.
Inmitten dieser Kakofonie gab es nur einen, der plötzlich verstummt war: Brokenhearts selbst. Es hatte keine weiteren Morde, keine weiteren Schreiben gegeben – nichts.
Aber Smithback war gut drauf. Wenn da nicht diese verdammte Bronner-Spur gewesen wäre. Was so vielversprechend angefangen hatte, war im Sande verlaufen. Baxter und Flayley waren Bronners Patientinnen gewesen, nicht aber Adler, das andere Selbstmordopfer. Nach seinem Artikel hatte die Polizei Ermittlungen eingeleitet, aber Smithback hatte von seinem Informanten, dem Cop, erfahren, dass Bronner für die infrage kommenden Nächte absolut wasserdichte Alibis hatte. Das Ganze schien ein Zufall zu sein. Bronner war nichts weiter als ein Alkoholiker-Arschloch, der seine Frau schlug und Schwierigkeiten hatte, seine Aggressionen zu beherrschen, kein Serienmörder.
Aber alles andere war spitze – trotz dieses Rückschlags. Smithback musste nach wie vor Hunderte Briefe öffnen, und der Himmel allein wusste, was für spannende Sachen und bizarre Beichten womöglich noch an die Oberfläche kommen würden. Er lieferte die guten Geschichten, und Kraski ließ ihn in Ruhe. Die ganze Sache war in der Tat eine Goldmine unterhaltsamer Storys, und Smithback hatte die Absicht, weiterhin mit aller Kraft zu schürfen.
37
Missmutig sah Coldmoon aus dem Jalousie-Fenster des Zimmers am Rand von Little Havana, das Pendergast mittlerweile als Safe House bezeichnete. Der Verkehr bewegte sich träge durch die abgasgeschwängerte Luft, und während er zuschaute, fuhr Axels Taxi vom Bordstein an und fädelte sich in den Verkehr ein – wieder mal, um eine seiner ominösen Erledigungen zu machen. Es war kurz vor elf Uhr morgens, aber schon jetzt blitzte die Sonne reflektierend von den Fensterscheiben der Autos und den blanken Metallfronten der Geschäfte, sodass die Luft von großer Hitze und blendendem Licht erfüllt war.
Als er in South Dakota aufwuchs, hatte Coldmoon die heißen, trockenen Sommer geliebt. Aber Miami war eine völlig andere Nummer. Es war erst Anfang April, und schon jetzt kam ihm jeder Tag heißer vor als der vorherige. Es war so verdammt schwül, dass sich auf dem ganzen Körper – der vergeblich versuchte, sich abzukühlen – ein Schweißfilm bildete, der nicht verdunstete. Und die Sonne schien auch nicht sanft, so wie in den nördlichen Breiten, sondern brannte erbarmungslos auf einen nieder, als bekäme man eine glühend heiße Bratpfanne auf den Kopf geschlagen.
Er drehte sich vom Fenster weg. Pendergast saß am Tisch und hielt in der Hand irgendeine Art Goldkette, an der ein Medaillon befestigt war, das einen Heiligen darzustellen schien. Coldmoon war sie schon in den Händen des Agenten aufgefallen, als er in dieser Lodge in Maine auf Elise Baxters Bett gelegen hatte. Pendergast hatte nie gesagt, woher er das Medaillon hatte, noch, warum er es bei sich trug, aber er holte es zu den ungewöhnlichsten Zeiten hervor und betrachtete es – so wie jetzt.
Er hörte, dass sich die Wohnungstür öffnete, und kurz darauf erschien Dr. Fauchet mit einem Stapel Akten unterm Arm. Sie trug ein gestärktes gelbes Kleid, nickte Coldmoon zur Begrüßung zu und schenkte anschließend Pendergast ein strahlendes Lächeln. Wie schafften es die Einwohner Floridas eigentlich, einen Vormittag durchzustehen, von einem ganzen Tag zu schweigen, ohne vor Hitze einzugehen?
Hinter Fauchet kam Grove ins Blickfeld, beide betraten das schattige Zimmer. »Morgen«, sagte er an Coldmoon gewandt, knallte seine Aktentasche auf den Tisch und nahm Platz.