Und während er den Bildern zuschaute, die die Überwachungskameras aus jedem Stockwerk zeigten, erblickte er mit einem Mal etwas Bizarres. Er drückte eine Taste, um den Durchlauf zu stoppen, und starrte erschrocken auf das Bild. Die betreffende Kamera deckte den Eingangsflur des Hauses ab – und zeigte einen Eindringling. Einen Mann im schwarzen Turnanzug, mit einer schwarzen Gesichtsmaske. Er hielt einen Bogen aus verstärktem Karbon und vier Pfeile in den Händen. Ein fünfter Pfeil war in den Bogen gespannt, den er so vor sich hertrug, als wollte er den Pfeil im nächsten Augenblick abschießen. Der Schweinehund hielt sich offenbar für Batman und Robin Hood in einem.
Das war scheißverrückt. Wie war der Kerl an den stählernen Rollläden vorbeigekommen? Und wie war er ins Haus gelangt, ohne einen Alarm auszulösen?
Cantucci drückte den Panik-Button, der aber natürlich nicht funktionierte. Und sein Handy war auch weg – ein Zufall? Er griff nach einem Festnetztelefon in der Nähe und hielt den Hörer ans Ohr. Tot.
Während der Mann aus dem Blickfeld der Überwachungskamera verschwand, drückte Cantucci die Taste für die nächste Kamera. Ah, wenigstens die Videoüberwachungsanlage funktionierte.
Jetzt, wo er darüber nachdachte, fragte er sich, warum der Mann nicht auch diese deaktiviert hatte.
Die Gestalt ging Richtung Aufzug. Cantucci sah, wie sie davor stehen blieb, eine ihrer schwarz behandschuhten Hände ausstreckte und eine Taste drückte. Er hörte das Brummen der Mechanik, während der Lift aus seiner Position in der vierten Etage, wo sich Cantuccis Schlafzimmer befand, ins Erdgeschoss hinabfuhr.
Cantucci meisterte seine Furcht sofort. Sechsmal hatte man bereits versucht, ihn umzubringen; alle Versuche waren fehlgeschlagen. Dieser Mordversuch war der bislang irrste, aber auch der würde scheitern. Der Strom war noch eingeschaltet. Mit einem Knopfdruck könnte er den Aufzug stoppen, sodass der Mann in der Falle saß – aber nein.
Rasch streifte sich Cantucci einen Bademantel über, zog die Schublade des Nachttisches auf und holte eine Beretta M9 sowie ein zusätzliches Fünfzehn-Schuss-Magazin daraus hervor, das er in die eine Tasche seines Bademantels steckte. In der Pistole befand sich zwar bereits ein volles Magazin, mit einem Projektil in der Kammer – so bewahrte er die Waffe immer auf –, aber er checkte das trotzdem. Alles gut.
Leise, aber schnell trat er aus dem Schlafzimmer in den davor befindlichen schmalen Flur und stellte sich vor dem Aufzug auf. Jetzt fuhr dieser wieder herauf. Cantucci hörte das Brummen der Maschinenanlage, während die Zahlen aufleuchteten und anzeigten, auf welcher Etage sich der Lift befand: drei … vier … fünf.
Cantucci wartete in Feuer-frei-Position, bis er hörte, dass der Aufzug zum Stehen kam. Und dann feuerte er, bevor die Tür sich öffnen konnte, durch diese hindurch, wobei die großen Neun-Millimeter-Projektile den dünnen Stahl derart durchschlugen, dass noch jede Menge Zerstörungskraft auf der anderen Seite übrig blieb. Der Lärm war ohrenbetäubend in dem beengten Raum. Cantucci zählte die Schüsse, schnell, aber präzise – ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs –, wobei er kreuz und quer und nach unten zielte, sodass er die Person, die sich im Aufzug befand, mit hundertprozentiger Sicherheit traf. Außerdem hatte er so noch jede Menge Munition übrig, um das Ganze zu Ende zu bringen, sobald die Tür aufging.
Die Tür glitt auf. Zu Cantuccis großem Schreck war der Aufzug leer. Er ging hinein und gab zwei Schüsse nach oben durch die Decke ab, um den Kerl, der sich möglicherweise da oben versteckte, zu erwischen, dann drückte er die STOPP-Taste, wodurch der Aufzug auf dieser Etage feststeckte und nicht mehr benutzt werden konnte.
Natürlich konnte es sein, dass auch der Eindringling eine Handfeuerwaffe besaß, aber wie es aussah, wollte er unbedingt seinen Bogen zum Einsatz bringen. Wie auch immer, Cantucci wollte keinerlei Risiko eingehen.
Die Waffe im Anschlag, rannte er barfüßig die Treppe hinunter, schussbereit. Als er schließlich bis in den ersten Stock hinuntergelaufen war, wurde ihm klar, dass sich der Mann nicht im Treppenhaus befand. Er musste raufgefahren und dann auf einer der unteren Etagen ausgestiegen sein. Aber welcher? Verdammt, wo steckte der Kerl?