„Der Eindruck, den der Friedensvertrag macht, ist enttäuschend. Erweckt
Bedauern und Niedergeschlagenheit. Die Friedensbedingungen erscheinenunsagbar hart und demütigend, während viele von ihnen mir unerfüllbarerscheinen. Es mag Jahre dauern, bis diese unterdrückten Völker imstandesind, ihr Joch abzuschütteln, aber so gewiß wie die Nacht auf den Tagfolgt, wird die Zeit kommen, da sie den Versuch wagen. Wir haben einenFriedensvertrag, aber er wird keinen dauernden Frieden bringen, weil erauf dem Treibsand des Eigennutzes begründet ist.“.82William Bullitt, Diplomat und Mitglied der amerikanischen Delegation in Versailles, bittet seinen Präsidenten schriftlich um Abberufung von der Konferenz.
In seinem Brief vom 17. Mai 1919 heißt es:
„Die ungerechten Beschlüsse der Versailler Konferenz über Shantung,
Tirol, Thrazien, Ungarn, Ostpreußen, Danzig, das Saarland und die Aufgabe des Prinzips der Freiheit der Meere machen neue Konflikte sicher. ... Daher halte ich es für meine Pflicht der eigenen Regierung und dem eigenen Volk gegenüber zu raten, diesen ungerechten Vertrag weder zu unterschreiben noch zu ratifizieren.“
83Die Vereinigten Staaten von Nordamerika verweigern dem Diktat konsequenter Weise ihre Unterschrift und schließen 1921 einen eigenen Friedensvertrag mit Deutschland.
Der englische Premierminister Lloyd George vermerkt in einer Denkschrift vom 26. März 1919, also noch ehe der Vertrag den Deutschen ausgehändigt wird:
„ Ungerechtigkeit und Anmaßung, ausgespielt in der Stunde des Triumphes, werden nie vergeben und vergessen werden. Aus diesem Grunde bin
ich auf das schärfste dagegen, mehr Deutsche als unerläßlich nötig der deutschen Herrschaft zu entziehen, um sie einer anderen Nation zu unterstellen. Ich kann kaum eine stärkere Ursache für einen künftigen Krieg erblicken, ...“. Die Briten unterzeichnen den Vertrag trotz dieser frühen Einsicht. Ihr Sinn für Beute und die Rücksicht auf den Partner Frankreich sind offensichtlich stärker als die eigene Stimme der Vernunft. Doch auch späte Einsicht führt nicht dazu, daß die englischen Regierungen in der Zeit bis 1933 die Schäden von Versailles selber richten. Der britische Nationalökonom Keynes, Berater der englischen Delegation in Versailles, wertet den Vertrag schon 1920 in seinem Buch „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrags“ als
82 Baumfalk, Seite 121
83 Bernhardt, Seite 40
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„ einen Versuch, Deutschland der Versklavung zuzuführen und als ein Ge-webe von jesuitischen Auslegungen zur Bemäntelung von Ausraubungs-und Unterdrückungsabsichten. “
Auch der spätere englische Premierminister Winston Churchill äußerst sich in seinen Memoiren zu Versailles:
„Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrages waren so bösartig und
töricht, daß sie offensichtlich jede Wirkung verloren. Deutschland wurdedazu verurteilt, unsinnig hohe Reparationen zu leisten. ... Die siegreichenAlliierten versichern nach wie vor, sie würden Deutschland ausquetschen,bis die , Kerne krachen'. Das alles übte auf das Geschehen der Welt undauf die Stimmung des deutschen Volkes gewaltigen Einfluß aus.“ 84