Am Mittag des 19. September 1938 wird dem tschechoslowakischen Präsidenten der britisch-französische Vorschlag übergeben, die Sudetengebiete an Deutschland abzutreten. Benes begibt sich mit seinem Kabinett für 30 Stunden auf dem Hradschin120 in Klausur. Die Nervosität in Paris und London steigt, da die Entscheidung über Frieden oder Krieg auch für Briten und Franzosen nun bei den Tschechen liegt. Für die tschechische Regierung geht es jedoch nicht allein um Frieden oder Krieg. Es geht für die Tschechen vielmehr um den Bestand eines von ihnen beherrschten Vielvölkerstaats oder dessen Auseinanderfallen.
Am 20. September, 20 Uhr, übermittelt der tschechische Außenminister Krofta den Botschaftern Englands und Frankreichs die gefaßte Kabinettsentscheidung.
Die Regierung der Tschechoslowakei lehnt es ab, die Sudetenlande abzutreten, und bittet die Regierungen in Paris und London, „ihren Standpunkt zu revidieren“121. Doch die Erklärung steht offensichtlich auf sehr schwachen Füßen.
118 Henderson, Seite 151
119 Bavendamm, Roosevelts Krieg, Seite 129
120 Burg und Regierungssitz in Prag
121 Documents Brit. Foreign Policy, Third Series, Volume II, Document 987
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Schon zwei Stunden später schwenkt Ministerpräsident Hodscha ein und läßt folgendes Telegramm an die Regierungen in Paris und London übermitteln:
Damit schieben der tschechische Staatspräsident Beneš und der slowakische Ministerpräsident Hodscha die Verantwortung für die Entlassung der Sudetendeutschen aus ihrem Staatenverband zum zweiten Mal in einer Woche denen zu, die diese Deutschen 1919 in die Tschechoslowakei gezwungen haben, den Franzosen. Kurz nach dieser „Kapitulation“ der tschechoslowakischen Führung erklärt die französische Regierung, – wie ihr nun von den Tschechen suggeriert – daß Frankreich nicht helfen werde, wenn es aufgrund einer Ablehnung des englisch-französischen Plans durch die tschechoslowakische Regierung zu einem Angriff der Deutschen komme. Eine Ablehnung des englisch-französischen Plans führe zu einem Erlöschen des französisch-tschechischen Bündnisses124. Die englische Reaktion ist nicht minder klar. Sie lautet:
Also, England und Frankreich lehnen ab, den Tschechen im Falle eines deutschen Angriffs beizustehen.
Am 21. September um 17 Uhr übergibt Außenminister Krofta den Botschaftern Englands und Frankreichs die endgültige Entscheidung der tschechoslowakischen Regierung und des Staatspräsidenten Beneš. Der englisch-französische Plan zur Abtretung der mehrheitlich von Sudetendeutschen bewohnten Gebiete wird darin „mit Bitternis“ akzeptiert126. Der Weg ist frei für weitere Gespräche zwischen Chamberlain und Hitler.
122 Klammern enthalten Anmerkungen des Verfassers
123 Benoist-Méchin, Band 6, Seite 289
124 Benoist-Méchin, Band 6, Seite 290
125 Documents Brit. Foreign Policy, Third Series, Volume II, Document 991
126 Documents Brit. Foreign Policy, Third Series, Volume II, Document 1005
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Das Treffen in Bad Godesberg vom 22. bis 24. September 1938