»Keine. Bewegung.« Das Flüstern hinter ihm erklang exakt im selben Moment, in dem sich der Lauf einer Schusswaffe so fest in seine Nierengegend rammte, dass er auf der Stelle versteinerte. Der Druck ließ eine Sekunde lang nach und kehrte dann mit solcher Wucht zurück, dass ihm das Wasser in die Augen stieg. Er stieß einen Kehllaut aus und krümmte sich, doch ehe er etwas sagen konnte, hatte jemand mit schwieligen Händen seine Handgelenke gepackt und sie nach hinten gerissen.
»Überflüssig«, sagte die Stimme, tief, rau und mürrisch. »Geh zur Seite, und ich erschieße ihn.«
»Nee, lass das«, sagte eine andere Stimme, genauso tief, aber weniger ärgerlich. »Er ist doch noch ganz grün. Und hübsch isser auch.« Eine der schwieligen Hände streichelte seine Wange, und er zuckte zusammen, doch wer immer es war, hatte ihm die Hände bereits fest zusammengebunden.
»Und wenn du ihn erschießen wolltest, Schwester, hätt’ste das doch längst getan«, fügte die Stimme hinzu. »Dreh dich um, Junge.«
Langsam drehte er sich um und sah, dass er von zwei alten Frauen gefangen genommen worden war, die klein und gedrungen waren wie Trolle. Eine von ihnen, die auch die Waffe hielt, rauchte eine Pfeife; es war ihr Tabak gewesen, den er gerochen hatte. Als sie den Schreck und den Ekel in seinem Gesicht sah, zog sie den Mundwinkel hoch und hielt dabei die Pfeife mit den Stümpfen ihrer braun gefleckten Zähne fest.
»So’n schöner Schein kann auch trügen«, merkte sie an, während sie ihn von Kopf bis Fuß betrachtete. »Trotzdem brauch ich hier meine gute Munition nicht zu verschwenden.«
»Madam«, sagte er. Er sammelte sich und versuchte es auf die charmante Art. »Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Ich bin Soldat des Königs und –«
Die beiden brachen in Gelächter aus und ächzten wie ein paar rostige Scharniere.
»Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte die Frau mit der Pfeife und schmiegte ihre schmalen Lippen mit einem Grinsen um den Stiel. »Wir dachten wirklich, du bist das Latrinenkommando!«
»Psst, Söhnchen«, unterbrach ihn ihre Schwester, als er erneut zu sprechen versuchte. »Wir tun dir nichts, solange du schön stillhältst und keinen Muckser machst.« Sie betrachtete ihn und begutachtete den Schaden, den er genommen hatte.
»Dich hat’s aber übel erwischt, wie?«, sagte sie nicht ohne Mitgefühl, und ohne eine Antwort abzuwarten, schubste sie ihn auf einen Felsen. Dieser war vollständig mit Muscheln und triefendem Tang bewachsen, woraus er schloss, dass er sich dicht am Ufer befand.
Er schwieg. Nicht aus Angst vor den alten Frauen, sondern weil es nichts zu sagen gab.
Er saß da und lauschte auf die Geräusche des Rückzugs. Er hatte keine Ahnung, wie viele Männer daran beteiligt waren, weil er ja nicht wusste, wie lange sie schon zugange waren. Es wurde nichts gesagt, was ihm hätte nützen können; er hörte nur die atemlosen Wortwechsel von Männern bei der Arbeit, das Gemurmel der Wartenden, hier und dort unterdrücktes Gelächter, das von Nervosität kündete.
Der Nebel hob sich vom Wasser. Jetzt konnte er sie sehen – nicht mehr als hundert Meter von ihm entfernt, eine kleine Flotte aus Ruderbooten und hier und da einem Fischerboot, die sich langsam auf einer Wasseroberfläche hin und her bewegte, die so glatt war wie Glas – und eine beständig schrumpfende Menge von Männern am Ufer, deren Hände nicht von ihren Pistolen wichen, während sie sich nervös nach möglichen Verfolgern umsahen.
Wenn sie wüssten, dachte er bitter.
Im Moment machte er sich keine Gedanken um seine Zukunft; die Erniedrigung, als ohnmächtiger Zeuge mit anzusehen, wie die gesamte amerikanische Armee vor seiner Nase entwischte – und die Vorstellung, dass er verpflichtet war, zurückzukehren und General Howe von diesem Ereignis zu berichten –, dies nagte so an ihm, dass es ihm gleichgültig gewesen wäre, wenn die Frauen vorgehabt hätten, ihn zu braten und zu essen.
Er konzentrierte sich so auf die Szene am Strand, dass ihm nicht sogleich der Gedanke kam, dass nicht nur er jetzt die Amerikaner sehen konnte, sondern dass auch er für sie sichtbar wurde. Die Kontinentalsoldaten und Milizionäre waren allerdings so gebannt mit ihrem Rückzug beschäftigt, dass ihn keiner von ihnen bemerkte, bis sich einer von ihnen abwandte, um den höher gelegenen Teil des Strandes nach etwas abzusuchen.
Der Mann erstarrte, warf einen kurzen Blick auf seine ahnungslosen Kameraden und schritt dann zielsicher über den Kies auf ihn zu.
»Was ist denn das, Mutter?«, fragte er. Er trug die Uniform eines Kontinentaloffiziers und war von ähnlichem Körperbau wie die beiden Frauen, wenn auch um einiges größer. Sein Gesicht war zwar nach außen hin ruhig, doch hinter seinen blutunterlaufenen Augen rumorten die Gedanken.
»Wir haben ein bisschen geangelt«, sagte die Frau mit der Pfeife. »Haben dieses rote Fischlein gefangen, aber ich glaube, wir werfen ihn wieder rein.«
»Aye? Vielleicht aber besser erst später.«
William hatte sich beim Auftauchen des Mannes aufrecht hingesetzt und funkelte nun zu ihm hoch, so grimmig er konnte.